Workshop: Noch Zukunft haben. Das Werk Karoline von Günderrodes (1780–1806) neu gelesen
14./15. Januar 2021 (digital)
Programm als pdf
Abstract
Wer sich mit Karoline von Günderrode (1780–1806) auseinandersetzen möchte, sieht sich zuallererst einer schwierigen Publikationssituation ausgesetzt: Ihre Werke sind zurzeit im Buchhandel schlicht nicht zu finden. Das ist zum einen deshalb erstaunlich, weil es sich um ein schmales, also eigentlich überschaubares, aber doch sehr reichhaltiges Textkorpus handelt, und zum anderen, weil bereits einschlägige Editionen vorgelegt worden sind – nur sind sie zurzeit vergriffen. Diese Beobachtung gilt für die dreibändige historisch-kritische Ausgabe von Walter Morgenthaler (Sämtliche Werke, Stroemfeld/Roter Stern, 1990f.) sowie für die Reclam-Anthologie Gedichte, Prosa, Briefe (hg. v. Hannelore Schlaffer, 1998).
Wenn von Günderrode gesprochen wird, dann meist entweder in Bezugnahme auf Bettina von Arnims Briefbuch Die Günderrode (1840), mit biographischer Referenz auf ihren Selbstmord in Winkel am Rhein, in der Nähe des Landsitzes der Familie Brentano – oder dann über die Lektüre von Christa Wolfs Kein Ort. Nirgends (1979).
Der geplante Workshop setzt sich zum Ziel, Karoline von Günderrodes Werk neu oder wieder zu lesen, zu kontextualisieren und zu reflektieren. Neben den gängigen romantischen Motiven (u.a. Nachtigallen, Träume, Mond, Musik) hat Günderrode, teilweise unter dem Pseudonym ‚Tian‘, zahlreiche Themen verhandelt, die eine genauere und neuartige Auseinandersetzung geradezu herausfordern. Ihr Werk umfasst unterschiedliche Genres, Gedichte sowie dramatische Texte (vgl. das Dramolett Immortalita). Einige Texte sind fragmentarisch überliefert (vgl. Die Manen; Ein apokaliptisches Fragment; Poetische Fragmente), sodass eine theoretische Auseinandersetzung mit Fragmenten anhand ihrer Texte neu aufgerollt werden sollte. Zudem stellt sich die Frage, welche Interpretationsmöglichkeiten es für die mythologisch orientierten Texte geben könnte (zur keltischen Mythologie vgl. Darthula nach Ossian; Mora; Scandinavische Weissagungen, zur griechischen Mythologie vgl. Immortalita; Ariadne auf Naxos; Magie und Schicksal; Nikator. Eine dramatische Skizze in drei Akten von Tian; Melete).
Weitere Themen sind die Kontexte ihrer Orient-Faszination, die sich z.B. in der Auseinandersetzung mit Religionen respektive der Figur des Sehers (vgl.: Mahomets Traum in der Wüste; Mahomed, der Prophet von Mekka) oder dem Bezug auf Indien (vgl.: Geschichte eines Braminen oder Udohla) manifestiert. Es bieten sich postkoloniale Lektüren – und mit Blick auf die Naturdarstellungen – auch der Einbezug von Perspektiven aus dem Ecocriticism an. Nicht zuletzt sind auch Gender-Aspekte und Themen wie Androgynität, Homoerotik (vgl. Piedro) wieder aufzunehmen.
Die Beiträge des Workshops zu Günderrode werden in der ab 2021 neu erscheinenden Reihe „Neue Romantikforschung“ bei Metzler (hg. v. Roland Borgards, Frederike Middelhoff und Martina Wernli) publiziert.
Der Günderrode-Workshop bildet die Auftaktveranstaltung zu einer Reihe von Autorinnen-Workshops, die unter dem Namen Kalathiskos. Die Autorinnen der Romantik firmiert und zwei Mal jährlich an der GU Frankfurt stattfindet. Mit ihrem Titel nimmt die Workshop-Serie den antiken Korb (kalathiskos) als Sammelbehälter in seiner wörtlichen und sinnbildlichen Bedeutung auf und erinnert gleichzeitig an Sophie Mereaus gleichnamiges Zeitschriftenprojekt von 1801 und 1802. Zu den folgenden geplanten Autorinnen-Workshops zählen u.a. Sophie Mereau/Brentano; Rahel Varnhagen; Dorothea Veit/Schlegel; Caroline Schlegel/Schelling; Bettine von Arnim; Helmine von Chézy; Sophie Tieck-Knorring und Henriette Schubart.
Organisation: Prof. Dr. Frederike Middelhoff, PD Dr. Martina Wernli, Goethe-Universität Frankfurt
Programm
Donnerstag, 14.01.2021
09:00 Begrüßung (Frederike Middelhoff & Martina Wernli)
09:30 Carola Hilmes (Goethe-Universität Frankfurt): Vom Skandal einer männlichen Autorenmaske
10:30 Cornelia Ilbrig (Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt): Konventionsbrüche und Gattungsexperimente bei Karoline von Günderrode
11:30 Pause
12:00 Sebastian Schönbeck (Universität Frankfurt/Oder): Gender und Genre. Karoline von Günderrodes Arbeit am romantischen Drama
13:00 Mittagspause
14:15 Mareike Schumacher / Marie Flüh (Universität Hamburg): Macht vs. Emotion. Handlungstreibende Muster in Günderodes Dramen digital, distant und scalable gelesen
15:15 Primärtextdiskussion: Das Dramatische bei Karoline von Günderrode (Texte folgen)
16:15 Pause
16:45 Gerald Bär (Fern-Universität Portugal): Die evangelische Stiftsdame am literarischen Puls ihrer Zeit: Günderrode, Ossian und der Traum vom Fliegen
17:45 Nishant Narayanan (EFLU, Hyderabad): Das Fremde als das Gewünschte: Karoline von Günderrodes Indienbild
19:15 Zoom-Apéro
Freitag, 15.01.2021
09:30 Frederike Middelhoff (Goethe-Universität Frankfurt): Nomaden, Flüchtlinge, Pilgrime. Migration in Karoline von Günderrodes Werk
10:30 Joanna Raisbeck (University of Oxford): Religiöse Erneuerung bei Günderrode und in der Frühromantik
11:30 Pause
12:00 Martina Wernli (Goethe-Universität Frankfurt): Blick und Wort. Seher-Figuren und Akte des Sprechens bei Karoline von Günderrode
13:00 Mittagspause
14:15 Daniel Cyranka (Universität Halle-Wittenberg): Mahomet
15:15 Lea Grimm (Goethe-Universität Frankfurt): Nichts soll meine Schritte fesseln…Karoline von Günderrode und Anne Louise Germaine de Staël im Kontext der Französischen Revolution und der napoleonischen Ära: Deutsch-französische Re-Lektüren für die gymnasiale Oberstufe
16:15 Pause
16:45 Literaturdidaktik und -praxis: Karoline von Günderrode in der Schule/an der Uni (Texte folgen)
17:45 Abschlussdiskussion