Gespenstische Technologie. Neoromantische Technik- und Medienreflexionen um 1900

Tagung an der Georg-August-Universität Göttingen, 22.-24.06.2023
Historische Sternwarte, Geismar Landstraße 11b (Tagungszentrum), 37083 Göttingen
Organisation: Raphael Stübe (Frankfurt am Main), Stefan Tetzlaff (Göttingen)


Das kulturelle und gesellschaftliche Leben um 1900 ist geprägt von einer Medienrevolution. Technologische Innovationen wie das Kino, frühe Fernsprecher, Phonographen und Röntgenbilder prägen und verändern die Wahrnehmungsformen bis in den Alltag hinein. Gleichzeitig kehren in Kunst und Literatur die ‚Gespenster‘ zurück: Während Körper erstmals medizinisch durchleuchtet und mikroskopische Infusorien photographisch reproduzierbar werden, experimentieren literarische Texte mit einer „Romantik der Nerven“ (H. Bahr 1891), die sämtliche ‚Sensationen‘ im Wahrnehmungsapparat auf ästhetische Oberflächen projiziert. Phantastik und Medienrevolution, so lautet die Ausgangsbeobachtung, finden sich in diesem Zeitraum (ca. 1890-1910) paradigmatisch miteinander verschränkt, sodass eine zeitgenössisch vieldiskutierte ‚Neuromantik‘ zum literarhistorischen Ort wird, um über Möglichkeiten und Hoffnungen technologisch erweiterter Episteme zu reflektieren. Neoromantik lässt sich um 1900 in Film, Buchkunst, Illustration, Theater und Literatur auffinden – und in all diesen Gattungen reflektiert sie über die Möglichkeiten innovativer und grenzübergreifender Medialität. Statt über ihren Rückgriff auf alte, romantische Formen erprobt die Tagung einen neuartigen Zugang zum Phänomen, um eine Neoromantik nicht weiter als kulturkonservative Subströmung, sondern als medienreflexive Kunststrategie in einem Feld herausfordernder Umwälzungen zu konturieren. Damit erschließt die Tagung eine bislang unterbelichtete Neoromantik, um sie als ästhetische Strategie im Umgang mit einem Medienwandel um 1900 zu beschreiben.

Programm:

Donnerstag, 22. Juni

10–13 Uhr

Stefan Tetzlaff (Göttingen), Raphael Stübe (Frankfurt am Main): Einführung

Martin Bartelmus (Düsseldorf): Der Fotoapparat ist ein Tier ist ein Gedicht. Romantische Verflechtungen mit Technik in Rainer Maria Rilkes Der Panther

Claas Morgenroth (Dortmund): Bleistiftphantasien. Medien des Schreibens in der Neoromantik

14: 30–17:30 Uhr

Katharina Scheerer (Münster): Wie Shakleton zum Golem wurde. Mesmerismus und Doppelgänger in Das Tagebuch Shakletons von Georg Heym 

Julia Martel (Köln): Technomagie. Mynona und die Neoromantik um 1900

Stephan Brössel (Münster): Der gespenstische Film bei Georges Méliès

Freitag, 23. Juni

10–13 Uhr

Cornelius Mitterer (Wien): Die Rückkehr der Zeitmaschine von Egon Friedell aus neoromantischer Perspektive

Julia Ilgner (Kiel): Neoromantische Medienprosa. Richard Dehmels Burleske Die gelbe Katze (1896) im publizistischen Kontext des Simplicissimus

Sergej Rickenbacher (Aachen): „Darf ich nicht leuchten?“ Die Transmedialität des Elektrischen in Hugo von Hofmannsthals früher Tragödie Elektra

14:3017:30 Uhr

Claudia Bamberg (Trier): Bewegung als neoromantische Lebenspraxis? Die Medien des Sports und ihre Ästhetik in der Wiener Moderne

Florian Schmidt (Tübingen): Holzfinger und Nervendrähte. Das Selbstspielklavier im Spannungsfeld von romantischer Musikästhetik und mechanischer Moderne

Rudolf Drux (Köln): Das bedingte Theater. Zur medienästhetischen Reflexion und darstellungstechnischen Funktion der Biomechanik im Drama der Neoromantik.

Samstag, 24. Juni

9:3013 Uhr

Roman Lach (Daegu, Südkorea) / Thomas Markwart (Berlin): Henry James’ Erzählung In the Cage (1898) als Paradigma einer Technikerwartung oder der Telegraph als spirituelles Medium ästhetischer Selbstreflexion

Kira Kaufmann (Wien): Mediale Zeichnungen zwischen Genie und Wahnsinn. Subliminalschöpfungen aus der Sicht ekstatischer Selbstäußerung und analytischer Fremdwahrnehmung

Florian Rogge (Tübingen): Robert Krafts Utopia als neoromantisches Geisterschiff

Abschlussdiskussion

Um Anmeldung bis zum 19.6.2023 wird gebeten: Stuebe@em.uni-frankfurt.de.