Romantische Materialitäten / Romantic Materialities

Internationale Tagung, 15.-17. September 2022, GU Frankfurt

Organisation und Konzeption: Dr. Joanna Raisbeck (Oxford), Prof. Dr. Frederike Middelhoff (Frankfurt)

Mit freundlicher Unterstützung des Klaus Heyne-Preises zur Erforschung der Deutschen Romantik

Veranstaltungsort: Seminarhaus, SH 0.109, Campus Westend, Goethe-Universität

Poster der Tagung: hier, Konzept der Tagung siehe unten.

Donnerstag, 15. September

Bis 14:00 Uhr          Anreise und Check-In

14:30 – 15:00          Frederike Middelhoff (Frankfurt am Main) / Joanna Raisbeck (Oxford):

Begrüßung und Einführung

15:00 – 16:30         

Volker Mergenthaler (Marburg):

Überlegungen zur materialen und medialen Affordanz Druckerzeugnisse in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts

Jochen Bär (Vechta):

Jenseits der Sprache? Romantische Multimodalität im Diskurswörterbuch

16:30 – 17:00          Kaffeepause

17:00                     

Carlos Spoerhase (Bielefeld) // (öffentliche Keynote):

Formate der Romantik

19:30                       Gemeinsames Abendessen

Freitag, 16. September

09:00 – 10:30         

Lea Liese (Basel):

‚Kleinodische‘ Schreibweisen. Die romantische Zeitung als Kunstkammer

Florian Gödel (Marburg):

Exzentrische Zeitungslektüre. Gérard de Nerval im Feuilleton des National (1850)

10:30 – 11:00          Kaffeepause

11:00 – 12:30         

Sandra Markewitz (Vechta):

„Ich liebe die Menschen nicht und nicht die Dinge…“ Ideal gegen Materie bei Karoline von Günderrode

Andreas Rizzi (Zürich):

Die Poetologie des romantischen Fragments zwischen Selbstreflexion und Theorie der Materialität

12:30 – 13:30          Gemeinsames Mittagessen

13:30 – 16:00          Spaziergang & Führung durch das Deutsche Romantik-Museum (+ Günderrode-Ausstellung im Handschriftenstudio)

16:00 – 16:30          Kaffeepause

16:30 – 18:00         

Maximilian Bach (Freiburg):

Romantischer Autographenkult, literarische Physiognomik und editorische Memorialpraxis: Wilhelm Dorows Facsimile von Handschriften berühmter Männer und Frauen (1836-1838)

Yvonne Al-Taie (Kiel):

„ein paar Zeilen von seinen schönen Hänten“. Bücher, Handschriften und Briefbeigaben als Residuen körperlicher Präsenz in der Frühromantik

19:30                      Gemeinsames Abendessen

Samstag, 17. September

9:30 – 11:00           

Charlotte Coch (Köln):

Zwei Bibelprojekte – Zum Buch als Material/Konzept bei Novalis und Schlegel

Luisa Banki (Wuppertal):

„Wie mögen Sie nur mit Ihren Händen die schmutzigen Bände berühren?“ Lektüre und Kritik romantischer Leserinnen

11:00 – 11:30          Kaffeepause

11:30 – 13:00         

Catriona MacLeod (Chicago):

The Material Fragment: Scissors and Texts in Romanticism

Martina Wernli (Frankfurt am Main):

Das Zeug zum Schreiben. Feder und Tinte in der Romantik

13:00 – 13:30         Abschlussdiskussion

Ende der Veranstaltung und Abreise

Konzept der Tagung

Dass die historische Romantik im europäischen Raum als bibliografisches Zeitalter gelten kann, das durch eine steigende Nachfrage und Produktion von Texten und einer Ausdifferenzierung der Leserschaft im 18. Jahrhundert ermöglicht wurde, ist in der literatur-, medien- und kulturwissenschaftlichen Forschung mittlerweile ein Gemeinplatz. Näher zu untersuchen bleibt die Frage nach den sozial vermittelten Praktiken der materiellen Textualität, z. B. welche Rolle der Zirkulation von Handschriften in Freundes- oder Familienkreisen zuzuordnen ist oder wie und wo in und aus Manuskripten, Notizen, Aufzeichnungen und Büchern (vor-)gelesen wurde. Neben Fragen, die die Materialitäten des romantischen Buchs und damit immanent verschränkte Aspekte der Lektüre und Kritik betreffen, sind viele der materiellen Schreib- und Druckkontexte romantischer Texte immer noch praxeologisch, kultur- und medientheoretisch unterbelichtet. Wo, wie und womit geschrieben, editiert, kommentiert und redigiert wurde, ist für kanonische Autor:innen der Romantik vereinzelt aufgearbeitet worden, Studien zu den Schreibszenen und -geräten der Romantik sowie den Techniken der Arbeit an und mit dem Text (von der Ideennotiz über den Entwurf bis hin zum Druck) im internationalen Vergleich bleiben ein Desiderat. Darüber hinaus erschienen zahlreiche Erstdrucke romantischer Lyrik, Novellen und Erzählungen in (Frauen-)Literaturzeitschriften, Almanachen, Taschenbüchern – teilweise in Serie, teilweise mit aufwändigen oder kurzerhand beigefügten Kupfern und Illustrationen. Welchen Stellenwert der romantische Text im Zeitschriften-Kontext besitzt und wie umgekehrt die seriell produzierte Zeitschrift/Zeitung relevant für das romantische Buch im Speziellen, die Theorie des Romantischen, die Poetik der Romantik im Allgemeinen genannt werden kann, gilt es angesichts neuer intermedialitäts- und materialitätsgeschichtlicher Studien zur Zeit um 1800 noch einmal neu zu beleuchten.

Nicht zuletzt sind mit solchen Fragen zu den materiellen Praktiken und medialen Dispositiven der Romantik auch dingtheoretische und neumaterialistische Fragestellungen verknüpft. Welche Materialitäten auf welche Weise einen buchstäblich handfesten Unterschied machen, hängt indes fundamental davon ab, welche Handlungs- und Wirkungsmacht den Schreibgeräten, Textträgern und anderen textkonstituierenden Dingen zugesprochen werden kann, die Textgenesen und ‑transformationen begleiten oder zum Teil überhaupt erst ermöglichen.

Die Tagung setzt sich zum Ziel, die neuesten Entwicklungen in der literatur- und kulturwissenschaftlichen, medienwissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung kritisch abzuschätzen und anhand von Fallanalysen und exemplarischen Probebohrungen der Frage nachzugehen, wie Ergebnisse aus der Buchgeschichte, der materiellen Kulturforschung, der Praxeologie und der Literaturwissenschaft miteinander in Verbindung zu bringen sind. Dabei soll nicht nur der material turn reflektiert werden, sondern auch neumaterialistische Theorien zum Tragen kommen, die traditionelle Annahmen darüber, was Materie und Dinglichkeit ist (und tut) noch einmal neu aufgerollt und mit Blick auf das romantische Buch bzw. den romantischen Text rekonzeptionalisiert werden. Auf diese Weise wird ein Neukontextualisierung vom literarischen Schaffen, mediengeschichtlichen Konstellationen und materialitätsspezifischen Prozessen in der europäischen Romantik angestrebt.

Themenschwerpunkte/-bereiche

  • Praxeologische Analysen materieller Kulturen in der Romantik
  • medientheoretisch orientierte Untersuchungen romantischer Kulturtechniken Transmediale Perspektiven auf literarisches Schaffen (z. B. Zirkulation von Handschriften/Druckschriften)
  • Romantische Sammeltätigkeiten
  • Zusammenhang von Lektürepraktiken und romantischen Formbegriffen
  • Publikationskontexte und damit verbundene mediale und technische Dispositive (Verlage, Drucker, Setzer, aber auch intermediale Rahmungen wie Text-Bild-Verhältnisse im Buch bzw. in Zeitschriften)
  • Erprobung neumaterialistischer Ansätze (u. a. New Materialisms, Actor-Network Theory, Object-Oriented Ontology) mit Blick auf romantische Texte, Dinge und Kunstformen

Auswahlbibliografie

Barth, Johannes: Materialität und Werkgenese: Achim von Arnims „Die Päpstin Johanna“. In: Wolfgang Lukas, Rüdiger Nutt-Koforth, Madleen Podewski (Hg.):  Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Berlin/New York 2014, S. 95–105.

Coch, Charlotte: Lektüre als Form. Das absolute Buch bei Friedrich Schlegel, Walter Benjamin und Niklas Luhmann. Bielefeld 2021.

Matt Erlin: Necessary Luxuries: Books, Literature, and the Culture of Consumption in Germany, 1770-1815. Ithaca 2014.

Genz, Julia: Flüchtig oder dauerhaft? Materialität und Medialität der Schrift am Beispiel von E. T. A. Hoffmanns “Lebens-Ansichten des Katers Murr”. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 54 (2009), S. 27–41.

Heller, Jakob Christoph, Erik Martin, Sebastian Schönbeck (Hg.): Ding und Bild in der europäischen Romantik. Berlin 2021.

Holm, Christiane, Günter Oesterle, Alexander von Bormann (Hg.): Schläft ein Lied in allen Dingen? Romantische Dingpoetik. Würzburg 2011.

Andrew Piper, Dreaming in Books. The Making of the Bibliographic Imagination in the Romantic Age. Chicago 2009.

Spoerhase, Carlos: Das Format der Literatur. Praktiken materieller Textualität zwischen 1740 und 1830. Göttingen 2018.

St Clair, William: The Reading Nation in the Romantic Period. Cambridge 2004.

Stone, Lauren Shizuko: Beilage zum Brief. On ‘epostolarity’ and materiality in Bettine von Arnim’s “Die Günderrode!. Colloquia Germanica 3 (2014), S. 287–305.

Tatlock, Lynne (Hg.): Publishing Culture and the “Reading Nation”: German Book History in the Long Nineteenth Century. Rochester 2010.

Williams, Abigail: The Social Life of Books: Reading Together in the Eighteenth-Century Home. New Haven 2018.

Völk, Malte: Ästhetik der Dingwelt. Materielle Kultur bei Jean Paul, Aby Warburg und Walter Benjamin. Berlin 2015.

Wernli, Martina: Tausende. Hochkonjunktur der Feder um 1800. In: Dies.: Federn lesen. Eine Literaturgeschichte des Gänsekiels von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert. Göttingen 2021, S. 343–437.

Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann. München 2008.