Romantik im Wandel – Aktuelle Perspektiven der Romantikforschung

07. März 2024, Freies Deutsches Hochstift Frankfurt am Main

Ein Bericht von Roya Kehl (Würzburg) und Frederike Middelhoff (Frankfurt)

Die Abschlussveranstaltung des DFG-Netzwerks Aktuelle Perspektiven der Romantikforschung | Theorien, Methoden, Lektüren fand am 07. März 2024 unter dem Titel Romantik im Wandel im Arkadensaal des Freien Deutschen Hochstifts (FDH) in Frankfurt statt.[1] Konzeptuell gliederte sich das Vorhaben, das erarbeitete Wissen zur Romantikforschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, in zwei Teile. Zum einen wurde das Ausstellungsformat Aufgedeckt! Autorinnen der Romantik im Deutschen Romantik-Museum (DRM) eröffnet, das konstitutiv von Mitgliedern des Netzwerks mitgestaltet wurde.[2] Neun Schriftstellerinnen der Romantik und ihre Werkkontexte können seither qua Audiospur spielerisch von den Besucher:innen des Museums erschlossen oder auch barrierefrei von Zuhause entdeckt werden. Im Vordergrund des durch die Netzwerkinitiative angeregten Projekts zur Erweiterung der Dauerausstellung steht sowohl das Nachhören als auch das Nachspüren, das beim Museumspublikum in erster Linie Lust zum Mehr-Lesen der durch Kanonisierungsprozesse zum großen Teil unbekannten Werke aus der Feder zentraler Akteurinnen der Romantik führen soll.

Zum anderen war der Abend einer Podiumsdiskussion im FDH gewidmet, die nicht nur wichtige Erkenntnisse der Netzwerk-Arbeit vermitteln, sondern vor allem auch Lücken, Herausforderungen und Desiderate der aktuellen Romantikforschung zur Diskussion stellen sollte. Eröffnet wurde das Abendprogramm von Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken (Direktion Freies Deutsches Hochstift/Deutsches Romantik-Museum), die die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Netzwerk hervorhob, die nun mit der neuen ‚Autorinnen-Spur‘ im Museum erneut manifest werde. Im Anschluss skizzierte Prof. Dr. Frederike Middelhoff (Frankfurt) als Initiatorin des Netzwerks dessen Ziele und Erkenntnisse. Sie legte dar, wie die Netzwerkarbeit nach einer fundierten Bestandsaufnahme der Methoden und Theorien der Romantikforschung seit 2000 rasch Desiderate aufdecken konnte, die sich besonders auf einen Mangel an entsprechenden Zugängen zurückführen ließen. Die Abendveranstaltung Romantik im Wandel zielte demnach darauf ab, die Wahrnehmung der Romantik kritisch zu reflektieren, indem in einem offenen Dialog danach gefragt werde, wie sich das gängige Bild der ‚Romantik‘ (und speziell der ‚Deutschen Romantik‘) verändert, wenn a) die Werke von Autorinnen konstitutiv miteinbezogen werden, wenn b) antisemitischen Spuren in den romantischen Zirkeln ernst genommen und kritisch reflektiert werden und wenn c) Romantik in internationaler Perspektive gedacht wird. In dieser Hinsicht wurde der Fokus besonders auf die ‚blinden Flecken‘ und – wie der Titel eines etablierten Diskussionsformats der vergangenen Netzwerk-Treffen pointierte – den ‚Giftschrank‘ der Romantikforschung gelegt. Das von Mitgliedern des Netzwerks geführte Gespräch widmete sich zunächst in kurzen Inputs schlaglichtartig den genannten drei Schwerpunkten.

Dr. Luisa Banki (Wuppertal) machte als erste Rednerin noch einmal explizit deutlich, dass der Kanon der Romantik nach wie vor in erster Linie männlich geprägt ist. Dabei ist gleichermaßen in Rechnung zu stellen, dass die Texte der Schriftstellerinnen nicht unter den gleichen Publikationsbedingungen entstanden und vertrieben wurden wie diejenigen ihrer männlichen Kollegen. Mit anschaulichen Textbelegen zeigte sie, dass sich Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum, die sich selbst auf das Gleichheitspostulat der Aufklärung beriefen, kaum Zugang zum literarischen Markt gewannen, was vor allem den restriktiven Erwartungen an die Rolle der Frau und den zeitgenössischen patriarchalen Publikationslogiken geschuldet war. Kritik am weiblichen Schreiben gipfelte oft in Kritik an der Person und dies selbst dann, wenn in den ‚liberalen‘ romantischen Kreisen verkehrt wurde. Viele Frauen, dies wurde hervorgehoben, publizierten aus diesem Grund anonym, unter männlichem Pseudonym, oder unter männlicher Herausgeberschaft. Ein großes Problem für die aktuelle Forschung sei die oftmals desolate Editionslage. Nur wenige Autorinnen verfügen über kommentierte oder gar historisch-kritische (Werk-)Ausgaben. Eine weitere Schwierigkeit liege in der Zuordnung von Texten aufgrund der verschleierten Autorschaft.

In der anschließenden Diskussion wurde dargelegt, dass es schwierig sei, den schreibenden Frauen ein Label wie ‚romantische Schriftstellerinnen‘ zuzuweisen, da es bei ihnen keinen entsprechenden Zusammenschluss gab, wie er bei den romantischen Männerzirkeln der Fall war. Da es auch unter den Frauen zu den heterogensten Stilen, zur Behandlung verschiedensten Themen und Gattungen kam, müsse man nach wie vor die Autorinnen einzeln in den Blick nehmen: Und dies gerade nicht attribuierend als ‚Geliebte‘ oder ‚Frau von‘. Andererseits gäbe es, das wurde klargestellt, eine Art eigener, bindender Dynamik im Schreiben. Schließlich nahmen Frauen durchaus an den theoriebildenden Zirkeln Anteil. Vor allem jedoch sei es im semi-öffentlichen Genre des Briefs zu einer Herausbildung eigener weiblicher Schreibstrategien gekommen, was vor allem der offenen Form des Briefs geschuldet war, die erlaubte, den Haushaltsalltag der Frauen mit ihren künstlerischen Ambitionen engzuführen.

Ein Schwerpunkt des ‚Giftschrank‘-Formats im Bereich der Netzwerkarbeit bildete die Auseinandersetzung mit Formen des Antisemitismus. Diesen Problembereich zeichnete Dr. Cornelia Ilbrig (Hamburg) nach. Im Fokus des Inputs standen die hasserfüllten und zugleich derb-komischen Reden der Deutschen Tischgesellschaft (1811-1834), einem Zusammenschluss aus (männlichen) Intellektuellen, Beamten und Professoren, die sich in erster Linie zum Essen und zum Trinken trafen. Brentano und Arnim waren bekannte Vertreter, die sogenannte Tischreden verfassten. Themen innerhalb dieser romantischen Herrenrunden waren nicht nur antisemitische Verschwörungstheorien, sondern auch enthemmte Gewaltfantasien. Die Tragweite des Antisemitismus wurde nicht zuletzt nach der Übertragung der Bürgerrechte an Juden und Jüdinnen in Preußen, der sogenannten Judenemanzipation von 1812 spürbar. Bespielhaft zeigt das Ausmaß des Ressentiments in der 1815 in Berlin ausgeführten antijüdischen Farce Unser Verkehr von Karl Sessa – eine aggressive Judenkarikatur, die Begeisterungsstürme des Publikums auslöste und die jüdischen Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte, wie Ilbrig anschaulich an einem Brief Rahel Levin Varnhagens zeigte. Die Ursachen für den Zuspruch, den Sessas Schauspiel ebenso wie die Tischgesellschaft erhielt, werden in der Forschung bislang vor allem als Widerstand gegen die Judenemanzipation diskutiert, was allerdings zu kurz greift. In den Blick genommen werden müsse die allgemeine, vor allem ökonomisch geprägte Krisensituation und der Umstand, dass Juden als ‚Kriegsgewinner‘ angesehen wurden. Im Sommer 1819 kam es dann zu den sogenannten Hepp-Hepp-Krawallen. Sie bildeten das erste gravierende Judenpogrom seit dem Mittelalter.

Im Anschlussgespräch wurde unterstrichen, dass der Umgang mit der Tischgesellschaft in der Forschung bisher einem Trend der Verharmlosung folgt. Das Argument sei zumeist gewesen, dass hier nur Stereotype geschildert worden seien, die den Ausgangpunkt für ironische Überhöhungen bilden und der Logik des sprachspielerischen Wettstreits folgen würden. In jedem Fall, dies wurde dezidiert betont, könne man viele der Tischreden nicht als ästhetisches Experiment oder derb-komische Etüde verharmlosen. Die Komik, die hier vorläge und die das ‚Lachprogramm‘ der Gesellschaft prägte, war auf (politische und ethische) Grenzüberschreitung angelegt, da hier absichtsvoll verletzt werden sollte. Darüber hinaus – das wurde im anschließenden Podiumsgespräch zur Debatte gestellt – könne der Antisemitismus innerhalb der Romantik auf die Grundfigur einer ‚romantischen Angst‘ zurückzuführen sein, der charakteristischen Individualität und programmatischen Eigentümlichkeit durch die ‚Gleichmachung‘ mit den ebenfalls ‚randständigen‘ Juden beraubt zu werden. Der (idealtypische) romantische Künstler generiere seine Identität wahlweise aus der Pose des Rebells, Außenseiters, Einzelgängers. Die Abgrenzung von einer anderen (wenngleich gänzlich anders marginalisierten) sozialen Gruppierung, in diesem Fall von ‚den Juden‘ – neben dem Konstrukt des Philisters die romantische Abgrenzungsfigur par excellence –, musste der Romantik angesichts der tradierten Stereotypisierung und neu entfachten Stimmungsmache gegen Juden und Jüdinnen gut zupassgekommen sein, um die eigene Profilbildung zu befördern.

Abschließend plädierten die Podiumspartner:innen, den Antisemitismus in den Texten der Romantik als solchen klar zu benennen. Der Umgang mit Fragen nach Identität und Alterität, so der Konsens der Diskussion, würde darüber hinaus von einer komparatistischen Herangehensweise profitieren. Geklärt werden müsse in diesem Zusammenhang auch die Funktionsweise des Antisemitismus innerhalb des europäischen Kontexts. Das jüdische ‚Feindbild‘ wurde nicht nur in den Zirkeln der deutschsprachigen Romantik nutzbar gemacht, um sich selbst eine Programmatik zu geben oder als ‚Bewegung‘, ‚Einheit‘ oder gar ‚führende Kulturnation‘ zu gerieren.

Die an diesem Abend zuletzt dargelegte Perspektive, der sich Dr. Raphael Stübe (Frankfurt) annahm, warf Fragen zur Qualität des Romantischen, zu den historischen Grenzlinien der Romantik und den Dimensionen des Nationalismus vor dem Hintergrund einer internationalen Romantikforschungsperspektive auf. In der Forschung kommen internationale und nationalphilologisch übergreifende Ansätze immer noch eher selten zum Tragen. Der Vergleich zwischen verschiedenen Romantiken könne dabei allerdings Aufschluss darüber geben, wie sich das Romantik-Bild und ‚das Romantische‘ wandele. Darüber hinaus lasse sich durch eine international ausgerichtete Romantikperspektive die eigene Forschungsperspektive differenzierter betrachten. Trotz oder gerade wegen der versetzen Zeitverläufe und Aktualisierungen der Romantiken, sei es aufschlussreich, die internationale Romantik anhand eines an Wittgenstein angelehnten Konzepts der Familienähnlichkeiten zu beleuchten – eine ‚romantische Familie‘, in der nicht alle Mitglieder alle Merkmale teilen, aber verschiedene Mitglieder ähnliche Eigenschaften aufweisen, die ihre Verwandtschaft sichtbar werden lässt. Eine dominante Familienähnlichkeit der Romantik im internationalen Vergleich, so Stübes These, lasse sich auf die Formel einer inhärenten Widersprüchlichkeit bzw. komplexen internen Ambivalenz bringen. Auf diesem Fundament wurde innerhalb des anschließenden Dialogs schnell klar, dass gerade Kontraste einheitsstiftend seien, die sich durch extreme Polaritäten ergäben und dabei – das sei das Spannende – auch unaufgelöst bleiben könnten.

Die anschließenden Fragen aus dem Publikum ließen schnell deutlich werden, dass die drei diskutierten Bereiche durchaus Schnittmengen aufweisen. Den Knotenpunkt bildeten Rückfragen zum romantischen Antisemitismus. Cornelia Ilbrig betonte erneut, dass es sicherlich kontextabhängig wichtig sei, zwischen Antijudaismus und Antisemitismus zu unterscheiden. Allerdings – und hierfür gab sie noch einmal einige erschütternde Beispiele zu den Vorschlägen der Tischgesellschaft, wie experimentell und existenziell vernichtend mit Juden verfahren werden solle –, müsse man deutliche Hinweise auf Antisemitismus auch als solchen benennen. Hinsichtlich der Überschneidungspotentiale der vorgestellten Desiderate wurde festgehalten, dass es zum einen auch aufschlussreich sei, antisemitische Tendenzen im Werk der nicht-jüdischen Schriftstellerinnen aufzuspüren. Auch ein komparatistischer Ansatz in Bezug auf den ‚romantischen Antisemitismus‘ aus internationaler Perspektive steht noch aus. In Bezug auf den romantischen Nationalismus und Freiheitsbegriff wurde dezidiert darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen den napoleonischen Imperialismus durchaus von den Befreiungsbestrebungen der verschiedenen kolonisierten Völker unterschieden werden müsse, in dem Rassismus und wirtschaftliche Ausbeutung eine Kernrolle spielten. Deutlich wurde – das zeigten die Fragen aus dem Publikum –, dass die aufgezeigten Desiderate das Interesse der Öffentlichkeit wecken konnten. Das lag sicherlich auch an der Brisanz der auf dem Podium verhandelten Fragen, die als fragmentierter Spiegel der Netzwerkarbeit in konkreter Weise ‚aktuelle Perspektiven der Romantikforschung‘ zum Vorschein bringen konnten.


[1] Siehe zur Termininfo auf der Website des FDH: https://freies-deutsches-hochstift.de/besuch/termine/-/romantik-im-wandel/1357/2024-03-07/1946.

[2] Vgl. https://guide.freies-deutsches-hochstift.de/mediaguide/autorinnen-romantik/alle/aufgedeckt/.